Voreilige Schließung von Notdienstpraxen: Aufforderung zur Ausübung der Rechtsaufsicht
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir, die Vertreter von 18 Städten und Gemeinden im Land Baden-Württemberg wenden uns erneut an Sie und hoffen auf Ihre Unterstützung.
Denn wir nehmen mit großer Sorge die jüngsten Entwicklungen im Bereich des ärztlichen Bereitschaftsdienstes wahr, besonders weil inzwischen in Bad Saulgau, Kirchheim/Teck und Neuenbürg die ersten Bereitschaftspraxen geschlossen wurden — und das trotz des starken Widerstands auf Landesebene, in den kommunalpolitischen Spitzenverbänden, den betroffenen Städten und Gemeinden und vor allem in der Bevölkerung.
Dies ist umso bedauerlicher, als dass wenige der von Ihnen und der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg vorgetragenen Argumente überzeugt haben. Ein prägnantes Beispiel dafür war die Reaktion von Matthias Einwag, Hauptgeschäftsführer der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft e.V., bei der Podiumsdiskussion am 19.12.2024 in Stuttgart: Deutlicher als er hätte man nicht zum Ausdruck bringen können, dass die Reform des ärztlichen Bereitschaftsdienstes unausgegoren und unabgestimmt ist.
Dies überrascht kaum, da die Planungen offensichtlich nicht mit den Krankenhausträgern abgestimmt wurden. Auch wir als betroffene Städte und Gemeinden wurden erst informiert, als am 21.10.24 gleichzeitig die Presse darüber berichtete. Es hilft nicht, dies anders darzustellen oder die Einbindung zu beteuern. Daher haben wir versucht, unsere Beteiligung über den Klageweg geltend zu machen. Obwohl das Sozialgericht Stuttgart die Anträge im Eilverfahren abgelehnt und in seiner Entscheidung vom 22.03.2025 bestätigt hat, dass die KVBW grundsätzlich einen weiten Gestaltungsspielraum bei der Organisation des Notdienstes hat, stellte es zugleich fest, dass dies eine rechtsaufsichtsrechtliche Prüfung nicht ausschließt. Das Gericht widersprach damit ausdrücklich der bisherigen Auffassung des Sozialministeriums.
Noch am 11.02.2025 vertraten Sie die Meinung, dass die Beteiligung von Gebietskörperschaften gemäß § 95 Abs. 1 Satz 2 SGB X nicht anwendbar sei, weil sie durch speziellere Regelungen verdrängt werde. Diese Auffassung dürfte nach der Entscheidung des Sozialgerichts so nicht mehr haltbar sein. Das Gericht hat klar zum Ausdruck gebracht, dass die Beteiligungsrechte von Gebietskörperschaften vielleicht nicht eingeklagt werden können, dass sie aber „einer rechtsaufsichtsrechtlichen Überprüfung unterliegen".
Vor diesem Hintergrund erneuern wir nochmals die Aufforderung an Sie als Gesundheitsminister: Nehmen Sie die Ausführungen des Sozialgerichts ernst und leiten Sie die im Rahmen der Rechtsaufsicht notwendigen Schritte ein. Lassen Sie sich die Akten der KVBVV vorlegen und prüfen Sie, ob die Beteiligungsrechte der Gebietskörperschaften gemäß § 95 Abs. 1 Satz 2 SGB X tatsächlich eingehalten wurden. Und stoppen Sie die voreilige Schließung von Notdienstpraxen im Land, bis diese Prüfung abgeschlossen ist.
Ein solcher Stopp ist insbesondere vor dem Hintergrund der Entwicklungen in Berlin geboten. CDU/CSU und SPD haben angekündigt, innerhalb der ersten 100 Tage eine gesetzliche Regelung zu schaffen, die die Sozialversicherungsfreiheit von Ärzten im Bereitschaftsdienst der KV ermöglicht, und Gesetze zur Notfall- und Rettungsdienstreform auf den Weg zu bringen. Es erscheint widersinnig, jetzt übereilt die Axt an die Notdienstversorgung im Land zu legen, wenn sich die tatsächlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen — und damit auch die Voraussetzungen für die künftige Ausgestaltung des Notdienstes in Baden-Württemberg — in wenigen Monaten ganz entscheidend verändern werden.
Auch wenn wir wissen, dass „gehört werden" nicht gleich „erhört werden" bedeutet, entbindet Sie das nicht von Ihrer Pflicht, sich auch mit den Belangen der Städte und Gemeinden auseinanderzusetzen. Bisher haben wir Sie in dieser Angelegenheit nicht als interessiert an unseren Positionen oder gar als Aufsichtsbehörde der KVBVV erlebt — sondern eher als deren Anwalt. Das Sozialgericht hat Ihnen nun die Gelegenheit gegeben, Ihre Haltung zu überdenken — bitte nutzen Sie diese Chance. Es wäre längst an der Zeit gewesen, dass Sie uns zu einem Notfallgipfel einladen und dies nicht anderen überlassen.
Obgleich wir uns über Ihr bisheriges Engagement in dieser Angelegenheit enttäuscht zeigen, möchten wir betonen, dass uns eine sachliche und konstruktive Zusammenarbeit weiterhin am Herzen liegt. Wir sind überzeugt, dass eine sorgfältige Prüfung und Berücksichtigung der kommunalen Belange im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger unerlässlich ist. Gerne stehen wir für einen Dialog bereit.