Trauer um Alt-Bundespräsident Dr. Horst Köhler
Nach übereinstimmenden Medienberichten ist unser ehemaliger Bundespräsident Dr. Horst Köhler heute am frühen Vormittag im Alter von 81 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit gestorben. Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier würdigte den Gestorbenen in einem Kondolenzschreiben an seine Witwe Eva Luise Köhler als „einen Glücksfall für unser Land”. Er betonte: „Wir können nur zutiefst dankbar sein, dass wir Horst Köhler als neunten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland erleben durften. Er hat diesem Land viel gegeben.”
Horst Köhler erblickte am 22. Februar 1943 in Heidenstein, dem heuitgen polnischen Skierbieszów, das Licht der Welt. Seine Eltern, Eduard Köhler und Elisabetha Köhler, geb. Bernhard, stammten aus Ryschkanowka (heute: Rîșcani, Republik Moldau), wurden im Herbst 1940, nach der sowjetischen Besetzung der Provinz Bessarabien, umgesiedelt und im August 1942 im Rahmen der Aktion Zamość als selbstständige Bauern in Heidenstein angesiedelt.
Im Jahr 1944 wurde die Mutter mit vieren ihrer Kinder aufgrund zunehmender Partisanenüberfälle im Ansiedlungsgebiet in ein Auffanglager (Łódź) im Warthegau gebracht. Der Vater verblieb auf dem zugewiesenen Hof. Beim Vorrücken der Roten Armee im Januar 1945 flüchtete die Familie. Bis 1957 lebte die Familie in Flüchtlingslagern, unter anderem auch in unserer Stadt.
Anlässlich seines Besuchs am 6. Juni 2006 in Backnang schrieb er die nachfolgende Widmung ins Goldene Buch der Stadt:
„Backnang wird immer einen festen Platz in meinem Herzen haben. Hier erlebte ich einen entscheidenden Anstoß für mein Leben durch den Lehrer Balle und durch die Begegnung mit schwäbischer Tatkraft und Energie. Danke dafür.”
Mit dem „entscheidenden Anstoß” für sein Leben spielte er auf seine Backnanger Zeit im Jahre 1953 an. In Anbetracht der damaligen Massenflucht aus der DDR entschied sich die Regierung in Stuttgart im März 1953, das Seminar, in dem bereits in einzelnen Räumen Schule abgehalten wurde, nun wieder verstärkt zur Unterbringung von Flüchtlingen zu nutzen. Statt der ursprünglichen 500 Unterkünfte musste allerdings innerhalb von wenigen Wochen Platz für 1.200 Personen geschaffen werden. Die Räume erhielten Zwischenwände, in den Zimmern mit 30 m² „hausten” drei bis vier Familien. Das Lager war sehr schnell überbelegt, zeitweise „lebten” darin über 1.300 „Ostzonenflüchtlinge”. Nach langer Flucht kam die Familie Köhler im Mai 1953 ins Lager Seminar in Backnang. In einem Spiegel-Interview aus dem Jahre 2004 erzählte er ganz offen über diese prägende Zeit:
„Ich war ungefähr zehn Jahre alt und versuchte, auf zwei Fingern zu pfeifen, aber es hat nie geklappt. Da habe ich es im Unterricht versucht, und plötzlich ging es. Dafür musste ich eine Stunde nachsitzen. In dieser Stunde hat sich Herr Balle zu mir gesetzt und erzählt: von seinem eigenen Weg und dass ich ein Raubauz sei, ein bisschen wild... Ich solle mir überlegen, dass ich hier an der Schule viel mitbekomme fürs Leben. Ich hab mir gedacht, was erzählt der? Wenig später sind wir in ein anderes Flüchlingslager, nach Ludwigsburg, eingewiesen worden. Und da bekamen meine Eltern einen Brief von der Schulbehörde. Die gingen also hin voll Bammel, als Flüchtling war man, wie soll ich sagen... [unheimlich willkommen - Einwurf der Interviewer]. Meine Eltern gingen also voll Bammel auf die Behörde, da hatte Lehrer Balle geschrieben, die Eltern sollten mich aufs Gymnasium schicken.”
Die Stadt Backnang verneigt sich in großer Dankbarkeit vor dem Wirken und vor der Lebensleistung von Alt-Bundespräsident Dr. Horst Köhler. Wir werden ihm für alle Zeit ein ehrendes Andenken bewahren. Seiner Frau Eva Luise Köhler und allen Hinterbliebenen sprechen wir unser tiefempfundenes Mitgefühl aus.
Maximilian Friedrich
Oberbürgermeister der Stadt Backnang